Dienstag, 23. April 2024
Natürlich nicht ~ wie könnte das sein? Wir wollen ja eine Waldorfschule sein, und eine solche ist ganz selbstverständlich religiös-weltanschaulich neutral. Schließlich gibt es Waldorfschulen rund um den Erdball in den verschiedensten Ländern und Kulturen. Und schauen Sie einmal bei dem in Karlsruhe beheimateten Verein „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ (www.freunde-waldorf.de), wie sich Waldorfpädagogik gerade auch in den verschiedenen Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt als Notfall- und Traumapädagogik bewährt.
Ja, die Anthroposophie, mit der sich die LehrerInnen so gern beschäftigen, ist schon etwas Spezielles und verlangt einem einige Anstrengung ab. Aber zugleich ist sie ganz klar „für alle Menschen“ gedacht und die universellste, weltbürgerlichste Angelegenheit, die man sich vorstellen kann. Außerdem: so sehr sie eine Hilfe für den Lehrer sein kann, ist sie absolut kein Inhalt des Unterrichts.
Woran liegt es, dass Waldorfpädagogik sich so produktiv in die verschiedensten Umgebungen einbringen kann? Vielleicht ist es die schlichte Haltung der Verehrung dessen, was ist. Warum sollten wir nicht einfach dem, was uns umgibt, mit der wohlwollenden Offenheit unseres Wesens begegnen? Das nannte man mit einem altertümlichen Wort „Ehrfurcht“, heute eher „Achtsamkeit“. Der Morgenspruch, den wir mit den Kindern der unteren 4 Klassen sprechen, drückt diese Grundhaltung aus:
Vielleicht erleben Sie, dass „Gott“ in diesem Spruch nicht einfach nur ein Wort ist. O ja, wir wünschen den Kindern, dass sie ihre Welt (den „Sonnen-Lichtes-Glanz“) nicht als unpersönlich, sondern eben als „Person“ erleben ~ wofür es eben dieses Wort gibt … Im täglichen Sprechen dieses Spruches mit den Kindern erfahren wir Klassenlehrer, dass dieses Erlebnis und diese Haltung ~ wenn man will also „Religion“ ~ ganz natürlich in ihnen angelegt ist. Es fließt von selbst vom Erleben (das „Licht“) ins Tun und Beteiligtsein („Lieb und Dank“). Ein solcher Spruch, neben vielem anderen, bringt Schätze hervor, die in den Kindern leben.
Neben dieser allgemeinen Haltung, die alle Unterrichte durchziehen sollte, gibt es ~ so planen wir ~ durchaus auch speziellen Religionsunterricht. Prinzipiell öffnen sich Waldorfschulen hier den Religionsgemeinschaften und bieten je nach Elternwunsch Unterricht in verschiedenen Konfessionen an. Das werden wir vermutlich auch an der neuen Schule nicht leisten können, sondern es wird wieder das bewährte Modell sein: ein gemeinschaftlicher, allgemein christlicher Unterricht für alle. An unserer Stammschule hatten wir den Eltern stets freigestellt, am Religionsunterricht und sogar an dem besonderen kleinen „Gottesdienst“ einmal zu hospitieren. So gut wie alle Eltern ~ auch etwa die muslimischen ~ waren einverstanden mit dem gemeinsamen Unterricht. Das wundert uns nicht, denn es ist eindrücklich, wie die Kinder, gerade auch diejenigen mit innerer Unruhe, in diesen konzentriertesten, stillsten Viertelstunden zu sich kommen. Wir freuen uns, dass die Menschen, die das ermöglicht haben, uns wieder zur Verfügung stehen werden.