Dienstag, 3. September 2024
Dagegen wollen wir hier auch gar nichts sagen. „Das Wichtigste“ ~ darüber kann man trefflich streiten. Wenn die Kinder einem gegenübersitzen (oder herumrennen), muss man ohnehin schauen, wie man sie „packt“, wie man sie interessiert, denn ohne dies braucht man sich keine Mühe geben, ihnen etwas „einzutrichtern“. Wie wir an der (heilpädagogischen) Waldorfschule die Buchstaben einführen und damit die Grundlage geben für das Lesen und Schreiben, ist ein Beispiel dafür, wie wir im Unterricht stets Verschiedenes miteinander verbinden: Schönes und Nützliches ~ Hand, Herz und Kopf ~ Moralisches und Intellektuelles … Die Kinder müssen bei der Zappeligkeit (Bewegungs-Freude, Bewegung und Freude) abgeholt werden. Nicht, indem man ihnen sagt, jetzt müssen wir mal 30 Minuten stillsitzen, danach gibt es eine Belohnung. Sondern durch künstlerischen Unterricht.
Unsere Buchstaben sind zunächst abstrakte Zeichen, konventionelle Verabredungen. Ihre Bedeutung (zunächst der „Laut“) ist ihnen nicht anzusehen. Wir könnten beim Ehrgeiz des Kindes ansetzen: je mehr du dir merken kannst, desto besser bist du. Aber das führt nicht weit, weil es nur den Kopf anspricht, weil es bei vielen Kindern zu Frust führt ~ und damit zu einer zusätzlichen, unguten Zappligkeit.
Deswegen versuchen wir die Buchstaben aus lebendigen inneren Bildern „herauszuholen“ ~ so wie die Schrift, als Bilderschrift, vor Jahrtausenden entstanden sein mag. Natürlich sind wir keine wissenschaftlichen Sprachforscher. Rudolf Steiner ~ Sie können seine Begründungen dieser Pädagogik ja heute ausführlich lesen, ohne ein Buch kaufen zu müssen ~ nimmt als Beispiel für die Einführung des „B“ den Bären: da darf der Lehrer sich eine Geschichte ausdenken und ausführlich erzählen, vielleicht von einem gutmütigen Bären, der von einem gutmütigen Menschen gezähmt wird, so dass der Bär dem Menschen helfen kann.
Ein Spruch begleitet dann die Zeichen-Bewegung, z.B. (den drei Linienführungen des „B“ entsprechend): „Brichst Bäume aus dem Boden, hilfst mir mit Balken bauen, mein bester Bruder Bär!“
Für so etwas gibt es keine waldorfpädagogischen Lehrbücher, also keine fertigen Geschichten, Bilder und Sprüche. Jeder Lehrer muss sie sich selbst ausdenken. Das dauert manchmal lange und führt auch zu Misserfolgen, aber letztlich liegt darin die Kraft: „in der Seele selber so regsam zu sein, dass man die Erfindung, die man macht, im eigenen Enthusiasmus auf das Kind überträgt“. Und auch mit den Kindern benutzen wir keine Bücher ~ sondern unsere Hefte sind unsere „selbsthergestellten Schulbücher“.
Wie das Kind einen solchen „Buchstaben“ kennen lernt ~ nämlich nicht als abstraktes Zeichen, sondern als lebendiges Welt-Element ~ , das finden die Kinder auch in der Eurythmie wieder, die uns durch die gesamte Schulzeit begleitet. In der Waldorfschule hängt alles mit allem zusammen, denn es gibt ja eine Grundlage. Und so kann ein solches in der 1. Klasse eingeführtes Bild den entsprechenden Buchstaben für viele Kinder durch Jahre hin begleiten, und man kann immer darauf zurückgreifen. Das gilt auch für die Kinder, die das selbständige sinnentnehmende Lesen vielleicht nicht erreichen können ~ denn Zauberer sind auch wir nicht. Es tut in jedem Fall gut, wenn Buchstaben, die uns ja schließlich tausendfach umgeben, aus abstrakten Zeichen zu Freunden geworden sind.