„Nun ist es mir immer ein Greuel gewesen, wenn ein Lehrer in einer Klasse drinnensteht, das Buch in der Hand hat und aus dem Buch heraus unterrichtet oder wenn er ein Heft hat, worin er sich aufnotiert hat, was er fragen will, und immer hineinschauen muss. Gewiss, das Kind denkt nicht gleich daran mit seinem Oberbewusstsein; aber die Kinder sind gescheit in ihrem Unterbewusstsein und man sieht, wenn man solches zu sehen vermag, dass sie sich sagen: Der weiß ja das gar nicht, was ich lernen soll. Warum soll ich das lernen, was der nicht weiß? Das ist immer das Urteil im Unterbewussten bei Kindern, die aus einem Buch oder Heft vom Lehrer unterrichtet werden.“
Soweit Rudolf Steiner (am 14. August 1924 in Torquay). Ein Bücherfeind war er sicherlich nicht, im Gegenteil, denn seine erhaltene Bibliothek bestätigt, was seine Vortragshörer schon vermutet haben: nächtelang muss er gelesen haben. Oft war am nächsten Morgen das Lampenöl, das ihm die Gastgeber auf Vortragsreisen zur Verfügung stellten, bis auf den letzten Tropfen verbraucht. Und es wimmelt in seinen Vorträgen von Empfehlungen „Lesen Sie einmal …“. Wenn Steiner dann selber vor seinen Hörern aus Büchern zitiert, hat man oft (als heutiger Leser wiederum) den Eindruck: er nimmt einen, durch die gedruckten Sätze hindurch, mit auf einen Besuch bei der schreibenden Person. Und das ist das Wesentliche: Geschriebenes ist immer von einem bestimmten Menschen geschrieben, nämlich durchlebt, gewollt, ausgedrückt, … Erst recht erfahren wir das natürlich in den Schriften und Vorträgen Steiners selbst: eine besondere Persönlichkeit, kein Wissenskompendium.
Es gilt der Versuchung zu widerstehen, Gedrucktes als anonyme, menschen-unabhängige Wahrheit zu nehmen. Irgendjemand hat es geschrieben. Wer wüsste das als heutiger Erwachsener nicht.
Für die jüngeren Kinder aber, und gerade für „unsere“ Kinder, ist persönliche Begegnung der eigentliche Weg, in die Welt, in die Schrift und ins Wissen und Können hineinzuwachsen. Also: Selber machen!, begleitet von Menschen, die diesen Weg schon vorangegangen sind. Die Kinder müssen erleben können: jedes Wort ist Menschen-Wort, jedes Bild (jede Abbildung) ist Menschen-Bild, von Menschen durchdrungene Wirklichkeit. Das kann keine „KI“-Maschine ersetzen! Viele Jahre später, wenn sie diesen Weg zur selbstständigen Persönlichkeit gehen und auskosten durften, können sie umso kompetenter mit Gedrucktem, mit dem Internet, mit KI und allen dazugehörigen Versuchungen umgehen.
Deswegen „machen wir unsere Schulbücher selbst“! Jedes Kind hat sein eigenes, von ihm gestaltetes „Epochenheft“, wo in Bild und Schrift das eingetragen wird, womit die Klasse sich gerade beschäftigt, von der ersten Klasse an. Schön großformatig, zum kräftigen Erleben! Man hat sich gemeinsam in Gesprächen, in Erkundungen, in Experimenten etwas über ein Stück Welt erarbeitet, und nun kommt der Moment, wo das „ins Heft kommt“. Gewiss macht der Lehrer Vorgaben, malt ein Bild an der Tafel vor (statt eine Abbildung auf das Whiteboard zu zaubern), und man entwirft zusammen einen kleinen Text (und sei es am Anfang nur ein Wort). Und dann hat jeder sich anzustrengen, dies in sein Heft einzutragen. Das ist Durchdringen von Wirklichkeit: Weder gibt es vorgedruckte Linien, auf die die Buchstaben zu stehen kommen, noch wird ein Bild eingeklebt oder abgepaust: jeder muss seine Heftseite mit Bild und Schrift selbst gestalten und bewältigen. Da wird oft Hilfe (von den IntegrationshelferInnen) gebraucht! Dennoch ist das Ergebnis ein
persönlicher Erfolg, jubelnd heißt es „Schau mal, mein Heft!“. Denn jeden Tag schaut man sich (in unseren kleinen Klassen ist das möglich) am Ende der entsprechenden Lernzeit zusammen die Hefte an ~ und
würdigt jedes einzelne und damit jedes einzelne Kind in seiner bewältigten Anstrengung. Und so verschieden sehen die Hefte aus!
Beglückend war es an unserer EWS (ehemaligen Wirkensstätte), wenn es Feedback zu unsern Jugendlichen (aus dem Praktikum, aus der Lehrstelle oder Werkstatt) gab: unsere AbsolventInnen seien so selbstständig, so zuverlässig, so brauchbar. Jetzt wissen Sie, woher es kommt.