Sonntag, 29. September 2024
Bereits anlässlich des Johanni-Festes haben wir verdeutlicht, wie wir in der Waldorf-Schulbewegung versuchen, die althergebrachten ~ in unserer Weltregion hauptsächlich christlich geprägten ~ Jahresfeste zu neuem Leben im pädagogischen Raum zu bringen. Wir versuchen! Denn erstens hat es keinen großen Sinn, Feste (und anderes) einfach so aus Tradition weiterlaufen zu lassen, „weil es immer so war“. Das funktioniert vielleicht im Wirtschaftsleben (Schokoladen-Weihnachtsmänner), würde aber unser Leben an der Schule mit den Kindern nur abstumpfen. Zweitens ist dieses herbstliche Fest ohnehin sehr in Vergessenheit geraten. Wir müssen traditionelle Elemente mit ihrem inneren Sinn neu beleben, sonst haben sie keinen Sinn. Rudolf Steiner am 5. Oktober 1923:
Nicht ein äußerlich oder ähnlich den konventionellen Festen zu begehendes Fest, sondern ein Fest, das den ganzen inneren Menschen erneuert, das muss, wenn es würdig eingesetzt werden soll, das Michael-Fest werden. Dann tritt aus alledem, was ich beschrieben habe, neuerdings heraus das einstmals so majestätische Bild Michaels mit dem Drachen.
Die „angenehme“ Jahreszeit, wo es draußen schön warm und sonnig ist, ist vorbei. Wie wir im Frühling das Aufblühen der Natur genießen, können wir jetzt das Absterben miterleben ~ und sollten es bewusst! Wenn wir Kinder sind oder Kinder haben, sollte es ja nicht nur darum gehen, wie wir uns oder sie jetzt, wo es früher dunkel wird, länger drinnen „beschäftigen“. Draußen stirbt es ab ~ aber wer bin ich denn selbst? Wir müssen, so Steiner, „der absterbenden Natur, dem Tode gegenüber das Selbst entgegensetzen“.
Das ist unsere Aufgabe als Erwachsene, nicht die der Kinder, denn das könnten sie nicht. Die Kinder leben unsere Stimmungen, unsere Einstellungen mit. Die Symbole unserer Feste sind es, die ihnen (und uns) dabei helfen.
Aber wir bewahren die Kinder vor oberflächlicher „Kämpfer“-Haltung ~ nicht nur durch entsprechenden Humor, mit dem die „Mutproben“ begleitet werden.
Denn der Kampf, der Drache, das „Böse“: das ist ja gar nicht da draußen! Wer stets da draußen auf das „Böse“ oder gar „die Bösen“ deutet, arbeitet meist selbst mit Drachengift, oder unterliegt ihm, oder beides.
Nein, der Engel hat ja noch ein zweites Utensil außer dem Schwert: die Waage. Und die kann uns heute symbolisieren: Das „Gute“, das ist ja gar nicht die eine Seite, gegen das angebliche Böse! Es ist die Ausgewogenheit, die Balance, die innere Mitte, die wir inmitten verschiedenster Einseitigkeiten immer wieder zu erringen haben! Darin besteht Mut und Willenskraft. Das Selbstbewusstsein, um das es geht, ist ja nicht das Sich-Durchsetzen als derjenige, der man bisher zu sein vermeint, im Gegenteil: Der Mutige schaut sich „selbstlos“ alles an, gerade auch die Widersprüche, vor denen er eigentlich die Augen verschließen möchte, indem er es als „gut“ oder „böse“ beurteilt, und er versucht, demgegenüber seine innere Mitte wieder zu erlangen. Der Mensch
muss das Michael-Fest feiern lernen, indem er das Michael-Fest gerade zu einem Entängstigungsfeste, zu einem Furchtlosigkeitsfeste, zu einem Fest innerer Initiative und innerer Kraft gestaltet, indem er das Michael-Fest zu dem Feste der Erinnerung des selbstlosen Selbstbewusstseins gestaltet.
Könnte es ein zeitgemäßeres Fest geben? Mut ist heute hauptsächlich eine Frage des Sehen-Wollens. Wir dürfen uns absolut nicht unterkriegen lassen von dem, was wir mit anschauen müssen. Das ist der Drachenkampf. Die Kinder dürfen wir dem keinesfalls aussetzen, sie haben vor den entsprechenden Bildschirmen nichts zu suchen. Aber wir können ihnen unendlich helfen, indem wir diesem ~ äußerlich völlig unscheinbaren ~ Kampf nicht ausweichen. Uns hilft dabei Sankt Michael, der himmlische Held.