Klicken Sie, um die Bereiche zu durchlaufen!

 
vorherige Seite Übersicht nächste Seite

„Schulkonzept in Häppchen“

Sonntag, 23. Februar 2025

Zwölf Sinne (1-4): toben, klettern, sich spüren

Seine 5 Sinne beieinander haben? Das reicht uns nicht. Es sind viel mehr als 5, und wir sollten sie, besonders als Pädagogen, nicht nur beieinander haben, sondern auch kennen.



(:template each :)

Das mit den 5 Sinnen stammt von Aristoteles, und er meinte damit: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und „Fühlen“. Wenn nun Rudolf Steiner nicht von 5, sondern von 12 Sinnen spricht, sind dann irgendwelche „übersinnlichen“ Wahrnehmungen damit gemeint?

Nein, das wäre ja widersinnig. Ein Sinn in diesem Sprachgebrauch von Rudolf Steiner ist etwas, was uns als irdischen Menschen in dieses Hier und Jetzt hineinstellt. Und natürlich ist auch die Naturwissenschaft weit über die fünf genannten Sinne hinaus gelangt; es liegt ja auf der Hand, dass wir ~ wie gesagt: rein irdisch ~ viel mehr wahrnehmen als das, wovon Aristoteles sprach.

Beginnen wir mit der „Gruppe“ der vier „unteren Sinne“. Das Schöne ist nämlich, dass Steiner die 12 Sinne in drei 4er-Gruppen eingeteilt hat, damit wir sie uns gut merken können, zumal sie Beziehungen zueinander haben. Die „unteren“ vier Sinne haben es mit der eigenen Leiblichkeit zu tun. Wenn wir sie hier kurz beschreiben, sehen wir gleich, dass wir keine Anatomen sein müssen, um die Einteilung nachzuvollziehen: Es geht nicht darum, welche Rezeptoren oder physiologische Funktionen die Naturwissenschaft auffinden kann, sondern um unser Erleben. Die Sinneslehre ist für alle da.

Gleichgewichtssinn

Den kennt ja noch jeder: Dass wir ein besonderes Sinnesorgan haben, mit dem wir unsere Stellung zur Schwerkraft, halt unser „Gleichgewicht“ wahrnehmen und kontrollieren, merken wir spätestens dann, wenn dieser Sinn mal gestört ist: wenn uns schwindelig wird. Dass wir diese Orientierung einem wunderbaren Organ im Innenohr verdanken, ist uns geläufig.

Und schon hier merken wir, wie sehr ein „Sinn“ mit dem seelischen Erleben verknüpft ist: nicht nur, dass wir bei Schwindel eventuell körperliche Übelkeit empfinden (dazu siehe auch weiter unten). Wir merken, es geht um Orientierung insgesamt, und „schwindelig“ kann uns nicht nur körperlich werden, sondern auch vor einer Schreibtischfläche mit Unterlagen, die wir nicht ansatzweise bewältigt bekommen.

Da zeigt sich auch sofort, dass die Sinne geübt werden können: wir balancieren mit den Kindern über Baumstämme, klettern, turnen … Aber auch mit dem Formenzeichnen üben wir diesen Sinn, auf mehr innerliche Art: das Kopfbanner unserer Website zeigt einen Ausschnitt einer Symmetrie-Übung, bei der ganz bewusst dieses Gleichgewicht im Sehen geübt wird. Die verschiedenen Sinne spielen also sehr stark ineinander, hier der Gleichgewichtssinn in den Sehsinn, aber mehr noch in den nun folgenden Bewegungssinn (in der Fachsprache nennt man dieses Zusammenspiel „Synästhesie“).

Bewegungssinn

Woher wissen wir, in welcher Stellung unsere Arme und Beine gerade sind, und ob sie sich gerade bewegen? Natürlich „von innen“, schließlich müssen wir dazu nicht in den Spiegel gucken und wissen das auch im Stockdunkeln. Welchen „Rezeptoren“ oder Sensoren (in den Muskeln, in den Gelenken oder wo immer) wir das zu verdanken haben, geht eher den Arzt oder Anatomen an. Wir aber sollten uns darüber klar sein, dass wir mit unserm gesamten bewegten Körper Bewegung wahrnehmen, durch Mitvollzug! Steiner: „Es geht geradezu unsere Absicht als Mensch darauf hin, die Bewegung der Welt durch unsere Gliedmaßen nachzuahmen, aufzunehmen.“ Wir hatten schon letzte Woche darauf hingewiesen, wie stark das Sehen mit Bewegung verbunden ist.

Auch hier liegt auf der Hand, wie viel wir dazu beitragen können, dass sich dieser Sinn gut entwickelt. Denn natürlich braucht jeder Sinn, zumal in den frühen Kinderjahren, genügend Anregungen, und sie müssen vielfältig sein. Es geht nicht darum, Turner heranzuziehen, eher: Bewegung nicht zu verhindern. Das „Bewegte Klassenzimmer“ mit seiner Abkehr von der traditionellen Sitzschule ist uns in der Heilpädagogischen Waldorfschule ziemlich selbstverständlich. Bei Steiner kommt dieser Ansatz ohnehin „von innen“: In einer Diskussion über geeignete Stühle meinte er, das wäre an der Waldorfschule egal: die Kinder würden ohnehin nie ganz fest auf den Stühlen sitzen, weil sie ja stets von Begeisterung etwas angehoben seien.

Lebenssinn

So bezeichnet Steiner die Wahrnehmung für das eigene Wohlgefühl. Dieser Sinn macht sich nur direkt bemerkbar, wenn etwas nicht stimmt in unserm Körper, oder in unserer Seele. Solches Unwohlsein kennen wir als bewusste Wahrnehmung. Ist das Wohlsein genauso wahrnehmbar? Vielleicht deswegen nicht, weil wir, wenn wir uns wohl fühlen, stets mit etwas „beschäftigt“ sind? Jedenfalls können wir dankbar sein, dass da so ein Grundgefühl der „Stimmigkeit“ ist, auch wenn wir es kaum beachten ~ und Steiner nennt dies eben einen „Sinn“.

Hier ist es schon schwieriger, die Übe-Möglichkeiten aufzuzeigen. Selbstverständlich: frische Luft, gutes Essen und Tinken und alles, was zum Wohlsein gehört. Aber auch die Freude, der Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, eine erzählte Geschichte, die unbedingt nicht in einem Konflikt enden kann, sondern nach Auflösung verlangt; das Rätsel und seine Lösung; die Tempo- und Stimmungs-Wechsel im Unterricht: lauter wichtige Sinnes-Erfahrungen.

Tastsinn

Diesen glauben wir wieder besser zu kennen, und auch Aristoteles meinte ihn mit, wenn er vom „Fühlen“ sprach. Aber: Wenn wir von dem, was wir normalerweise mit „Tasten“ meinen, in Gedanken alles abziehen, was a) mit Bewegung (siehe oben), b) mit Wärme (der Wärmesinn gehört zu den „mittleren“ Sinnen) zu tun hat, was bleibt dann übrig? Denn normalerweise nutzen wir sehr wohl die Bewegung beim Tasten, wir fahren mit dem Finger über einen Gegenstand, besser gesagt: greifen meistens mit zwei oder mehr Fingern; wir erfahren die Konsistenz eines Gegenstandes, indem wir mit unserer Kraft draufdrücken, also den Widerstand in der Bewegung erfahren; und wir „fühlen“ auch stark über die Wärme. Wenn wir uns das alles wegdenken, landen wir bei soetwas wie dem „Körperschema“: unsere wahrgenommene differenzierte Körperform, die wir ja schließlich als Kinder erst langsam kennenlernen müssen. Der Begriff „Körperschema“ spielt ja eine große Rolle bei Menschen mit schwererer Behinderung. In der „basalen Stimulation“ wird entsprechend das Erfahren des Körpers gefördert. Aber auch jeder Erwachsene, der problemlos die Landkarte seines Körpers innerlich zur Verfügung hat, kennt die Erfahrung des gewissen Rucks, mit dem man, nach Phasen des Abgedriftetseins, irgendwie anhand dieser eigenen ganzen Körpergestalt plötzlich wieder im Hier und Jetzt landet.

Also geht auch die Förderung dieses Sinnes uns alle an. Sie umfasst, wenn man den Begriff des Tastsinns exakter fasst wie oben skizziert, sicherlich mehr als die üblichen Tastübungen mit Tannenzapfen oder Wolle. Was bringt uns denn zu dem gemeinten weckenden Ruck, mit dem uns die Ganzheit unseres Körperschemas wieder präsent wird? Ist es nicht besonders der uns begegnende andere Mensch?

Hier deuten sich Querbeziehungen zwischen den Sinnen an, auf die wir zu sprechen kommen werden. Mit den geschilderten „unteren“ Sinnen sind wir niemals allein auf der Welt. Immer spielt herein, dass wir in einer sozialen Welt leben, dass andere Menschen da sind, mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Aufmerksamkeit, ihrem Ich, was wir ja schließlich ebenfalls alles wahrnehmen.

Gott päppelt mich

Wenn wir uns so die Erlebnisqualitäten der verschiedenen Sinne ~ nach Steiner ~ vergegenwärtigen, fällt auf: ist da nirgendwo von unserm Gehirn die Rede? Denn im Gehirn „sitzt“ doch unser „Subjekt“?

Das allerdings kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Wir empfinden uns selbst doch nicht „im Gehirn“? Nicht eher im ganzen Körper, und darüber hinaus: in der ganzen Welt?! Steiner nennt Gehirn und Nervensystem sehr oft einen Spiegelungsapparat ~ der gewiss funktionieren muss, damit wir „hier sein können“.

Aber als Pädagogen sollten wir uns eher mit dem beschäftigen, was sich spiegelt, und das ist offenbar die ganze große Welt.

Es ist eine Haltung, die uns Steiner mit seiner Sinneslehre ermöglicht und nahelegt, und die wir für unsere Pädagogik sehr wichtig finden. Der Steiner-Schüler Carl Unger drückte es so aus: „Durch die Sinne des Menschen nimmt die Welt sich selbst wahr.“ Und ein weiterer Steiner-Schüler, Karl Ballmer (wir zitierten es schon einmal, und er hätte heute Geburtstag): „Die Welt setzt mich an meinen Wahrnehmungen jede Sekunde ins Dasein. ‘Schöpfer’ und ‘Schöpfung’ ist kein bloß mythologisches Thema.“ ~ „Gott päppelt mich mit Sinnesempfindungen groß.“



zum Eingang        Kontakt / Impressum         Suche